Beiträge von Johanna Roth - Bernstein

    Na, klar.
    1. war ich froh, Dich heil wieder in Kassel zu haben.
    2. War ich froh, überhaupt selber in Kassel zu sein.
    Am 31.12. 79 saß ich noch quietschvergnügt auf einem Hüttendach Nähe Starnberger See. Sivesterfeier mit der Familie meiner Freundin. Argloser Beginn der Rückfahrtvon Bichel nach Kassel nach dem Frühstück. Tanken kurz vor München. " Was, sie wollen nach Kassel? Sind sie wahnsinnig?" fragte der Tankwart. Andere, vom Norden Kommende gesellten sich schnell im Kreis um mich. " Da kommt man doch nicht mehr durch. Das lassen sie mal lieber" Ich fuhr dennoch, denn, Uli erwartete mich am nächsten Abend am Bahnhof in Kassel.
    Kurz hinter München fing der Wahnsinn an. Am Rande bald liegengebliebene Autos. Meiner war bedeutend kleiner als die dort lagen oder steckten. Bloß nicht stehen bleiben, war mir schnell klar. Stur im 2. Gang hinter den andern her, jedenfalls hinter denen her, die noch fuhren. Bloß keinen überholen....ging für mich eh nicht, aber andere Verrückte gab es auch damals schon...Die Heizung setzte aus... Füße, Beine, Arme , Hände eisekalt. Die immer schmaler werdenden Fahrspuren schienen sich gleichzeitig ins Endlose zu dehnen. Der Magen knurrte.... Kurz vor 3 Uhr nachts stand ich heil vor meinem Haus. Bloß raus und rein in die Wohnung. Drin sofort Telefonklingeln, die Bichler: " Endlich! Wir hatten so Angst um dich. Aber nun bist du ja daheim. " Ich hauchte fast nur noch ein " Ja".
    Am nächsten Abend stundenlanges Warten auf dem eisigen Kassler Bahnhof auf den Zug aus Chemnitz. Er wurde schon abgemeldet auf dem Anzeigeschild. Aber ich kannte meine DDR und wartete. Da , plötzlich erschien er wiederauf der Anzeigetafel. Wahrscheinliche Verspätung 2 Stunden. Dann 3 Stunden. Endlich! Endlich! Endlich kam er. Ich war mit den Nerven fertig und heulte vor Glück, Uli im Arm zu haben. Uli war auch mehr als fertig. Sie hatte unter Eiseskälte stundenlang am Chemnitzer Bahnhof warten müssen. Auch dort wurde der Zug schon abgemeldet und sie hatte auch das richtige Gefühl, zu warten. Und siehe, plötzlich wurde er doch bereit zur Abfahrt gemeldet.
    Nee, den Winter werden wir nicht vergessen. Erst am nächsten Abend bekamen wir dann die Nachrichten über das abgesperrte Norddeutland und die dortigen Stromausfälle mit. Da wurden die Autos in Kolonnen hinter Schneepflügen geführt vorwärtsgebracht. Irgend so ein Ding hatte ich auf meiner Fahrt nirgends gesehen. Aber dafür hatten wir in Kassel Strom und warme Zimmer. So riesig dankbar dafür kann man nur sein, wenn man riesige Kälte erlebt hat.

    setze sie aber jetzt hier hinein. Mein Beitrag ist also nicht in den Fortlauf des Berichtes von Uli einzuordnen, sondern eine Stellungnahme zum Buch eines Lesers, der die beschriebene Zeit kennt. Allerdings nicht die Spätzeit der DDR, in der der Schriftsteller lebte. Ulis Bericht ist prima, mein Beitrag hier also keine Kritik daran. Er bezieht sich nur auf eine telefonische Äußerung von Uli , auf die ich nicht antwortete und zuerst nicht wußte, warum es mir die Sprache verschlug. Es ging um das Herzlich Lachen- können. Beim Schreiben fiel mir ein, vielleicht ist es wichtig so einen Zusatztext allgemein hier hineinzusetzen.

    DerTurm ( Uwe Tellkamp)

    Ich hab lange nachgedacht, warum ich im Gegensatz zu Uli so gar nichts zum Lachen darin finde. Jetzt ist es mir klar. Uwe Tellkamp beschreibt den Verfall in der DDR-Zeit mit großer einfühlsamer Genauigkeit bis in die kleinsten Details. Dabei berichtet er über Generationen hinweg. Generationen, die in meiner DDR-Zeit lebten. Und im Gegensatz zu Uli hab ich diese Zeit wirklich erlebt. Ich sehe also beim Lesen nicht nur die immer grauer werdenden Fassaden, das Abbröseln der Außenfarbe, die kaputten Regenrinnen, die mühselig gegen die Kälte abgedichteten Fenster und Mauerrisse, die blasenziehenden Tapeten, den Schimmel in den Ecken, die notdürftig geflickten Stromleitungen , die immer wieder versagenden elektrischen und sonstigen Geräte, die mit wenig Wissen repariert, die mühevoll mit Pflaster geklebten geliebten alten Teekannen, Tassenhenkel, die immer wieder einem entgegenfallenden Schranktüren, Schubladen, Klinken......kein Moment im Alltagsleben, wo man sich auf die Funktion eines einst sehr gut angefertigten Produktes verlassen kann ( schreibe ich “konnte“, klingt es so schön längst überwunden), wo man nicht in die Unzuverlässigkeit geworfen wäre. Ebenso im Außenleben beim Benutzen der Straßenbahn, der Eisenbahn, des Busses. Schon ob man überhaupt in den gewählten Ort innerhalb der DDR fahren durfte. Ja, was man überhaupt durfte, war unsicher. Wie viel Anstehen an endlosen Schlangen bei Behörden, wo man dann mit nicht verständlichen Gründen den Antrag abgelehnt bekam oder auch plötzlich genehmigt. Gnade, absolute Abhängigkeit von nicht einsehbaren Mächten .
    Ja, Witze gab es viele. Gelacht wurde auch heimlich über sie. Ja, natürlich Humor. Der aber war Nothilfe, schwimmend auf der Verzweiflung des Nichtsdagegentunkönnens. Vielleicht ein Stückchen Hilfe des sich Miteinanderwissens . ES WAR MENSCHLICH WÄRMER??? Wird heute von vielen behauptet

    Eine Grundkälte, nicht nur die mit TH. meßbare, die , natürlich besonders im Winter, bis in die Knochen kroch. Kachelöfen ( Zentralheizung gab es damals kaum) , Kanonenöfen, mühselig jeden Morgen frierend befeuert, und am Weiterbrennen gehalten und dennoch die mit den Ersatzheizungsmaterialien nur selten wirklich das Zimmer voll erwärmten.. Oft nicht gewärmte Straßenbahnen, Eisenbahnen, Busse. Geschäfte.
    Nein vor allem die nicht messbare Kälte der Unpersönlichkeit, des Rückzugs der Menschen in graues, geducktes Verhalten. Kein offener Blick, zu Boden schauende Augen oder Augen, die irgendwo ins Nichts schauten, weil das sie Umgebende kein Ansehen lohnte, weil ein zu offener Blick ein inneres Denken verraten konnte. Fast ein Aufhören des eigenen Denkens. Ein an Raum gewinnendes hoch kompliziertes Spinnennetz von mitmenschlichem Verhalten, das sich in Nischen ausbreitete. Dort gingen die Kinder zu den jungen Pionieren, später zur FDJ. Die Väter und Mütter waren in der Partei. Sie verhielten sich dem Apparat gegenüber absolut unauffällig, sie schlängelten sich durch. Sie halfen sich gegenseitig mit ihren unterschiedlichen Beziehungen zu irgendetwas in ihren unterschiedlichen Berufen das Gewünschte zu erreichen. So wurden allmählich innerhalb der Wohnung zuerst die Dinge erneuert: Badewannen , Leitungen, Toiletten, dann Dächer repariert, Häuschen erbaut, auch wenn es Jahre dauerte, über Beziehungen allmählich alles Notwendige zusammen zu klauben, der Zaun repariert, Autos erlangt, sogar Westkleidung ergattert. Ja, es stimmt, was heute so viele behaupten, es ging ihnen tatsächlich gut. Sie erreichten fast alles, so lange sie sich an die Spielregeln hielten. Sich in ihren vielerlei Schwindeleien nie verrieten, sich gegenseitig rechtzeitig informierten. Besonder ganb es da die, DIE DABEI SOFORT DIE HÄNDE UND JEGLICHEN KONTAKT VON DEM ( denen gab es kaum) LIEßEN, der sich ,und dadurch sie, durch irgendein Verhalten in wirkliche Gefahr brachte, vom System bestraft zu werden. Diese schlossen absolut alle aus, die nicht wie sie, sich anpassten. Ich meine also nicht all die Menschen, die in der DDR blieben und sich bemühten, trotz allem irgendwie anständig mit möglichst vielen ihrer Werte durchzukommen. Das kostete wahrlich Mühe! Aber ich hatte eine unheimliche Wut auf diese andern, die durchaus in der Lage gewesen wären,von Bildung und Vermögen her, sich besser zu wehren. Die eigentlich ein Stück Stütze der Gesellschaft hätten sein müssen. Sie wären zahlreich genug gewesen Gegenmeinung zu vertreten. Menschen, die in ihrer Stadt eigentlich etwas galten. Aber ihr Wertesystem wurde allmählich hohl und erstarrte. Es lebte nicht im Jetzt und wirkte da aktiv , sondern galt nur Werken längst Verstorbener, je länger verstorben, desto ungefählicher, dem System negativ aufzufallen. Und in diesem Bereiche bewegten sich auch die Gespräche in diesen Familien, auch mit den Kindern . Gebildet, aber immer irgendwie unpersönlich, weg vom Konkreten .
    Die wirklich zum System Gehörigen, im Buch Ostrom bezeichnet, konnte man meist deutlich erkennen und, wenn man in ihrer Ideologie genau Bescheid wusste, sich gegen sie sogar mit ihren eigenen Thesen in Krisensituationen wehren. Manche unter ihnen waren sogar mit Werten erreichbar, weil sie selber wirklich welche hatten und glaubten, sie in diesem System erzielen zu können. Das waren aber nur sehr wenige, oft hatten sie schon unter den Nazis gelitten. Die andern waren rigoros nur hinter eigenem Fortkommen her und vertraten nicht selten mit innerem Vergnügen die menschenverachtenden Gebote und Strafmaßnahmen. . Ich haßte sie und duckte nicht. Ich war nicht doof unbekümmert, aber meinen Rücken verbiegen ließ ich mir nicht. Ging nicht in die FDJ und hatte natürlich keine Beziehungen . Und also war ich ausgegrenzt, von denen, die sich ja NUR, anpaßten ( Im Buch die Turmleute) , und natürlich von den überzeugten Mittätern. Und auf der Hut mußte ich vor beiden Gruppen sein.

    Aufgenommen fühlte ich mich in der Natur, meist in mir erreichbaren Vorortvierteln. All die kleinen Wege, die begrasten Unkrautränder, die beschneiten Bäume an den kleinen Straßen, die Schneeschlangen auf den Zäunen, die Ausblicke von Brücken, da war ich nicht einsam, nicht unmittelbar gefährdet. Das Buch läßt die durchgehende Kälte, auch die zwischenmenschlichen Beziehungen lassen das Frösteln fühlen( siehe Christian, sein Vater Richard), und auch dies innere Aufatmen draußen beschreibt das Buch.
    Es ist ein ausgezeichnet, ein sehr gut geschriebenes Buch, Uli. Da stimme ich Dir voll zu. Nur Lachen, Uli, kann ich an keiner Stelle. Es bleibt mir im Hals stecken. Ich les das Buch anders, nein, ich erleb es anders.

    Ich bleibe auf jeden Falll meinem alten Toyota treu. Ihr habt ihn ja beim Treffen in [lexicon]Hützel[/lexicon] gesehen. Er ist 1997 gekauft und noch brav. Ich lass mich doch nicht dumm quasseln . Rechnet man alles genau durch, ergibt sich allemal ein Manko. Gerettet werden soll die deutsche Autoindustrie, die aber nicht die geringsten Ansätze macht, mal zu überlegen, ob nicht andere , geringere Benzinfresser angezeigt wären. Andere Länder haben da Angebote. Also ginge das Geld nicht in die deutsche Automobilbranche. Gruß! Hanna

    Es geht nicht darum, zu sehen, ob die andern sich anstrengen. Es geht darum, daß die, die die Möglichkeit haben zu schreiben, ihre Kräfte einsetzen. Fähigkeiten sind unterschiedlich verteilt. Deshalb geht es eher darum, Wege zu finden, in die die anderen sich einfügen können, für sich Möglichkeiten finden können, am Austausch teilzunehmen. Das ist ein schweres Suchen. Herzlich Hanna