09. 03. 2008: Gummis 89. Geburtstag - Erinnerungen an meinen Papi

  • Am 09. 03. 1919 geboren, würde mein lieber Papi, der Gummi also morgen 89! :geburtstag:


    An seinem letzten Geburtstag hier auf dieser Erde, dem 09. 03. 2002, war er gerade einen Tag lang im Pflegeheim in Soltau, nachdem er im Krankenhaus sich einigermaßen von verschiedensten Alterserscheinungen erholt hatte. Einigermaßen, denn übrig geblieben war ein Häufchen Elend, kraftlos - Aber er versuchte mir und Lothar Thiel (der mit seiner Frau Gudrun ebenfalls zum Gratulieren gekommen war) wortlos zu zeigen, dass er sich freute. Auf seinem Bett im Zweibettzimmer liegend, genoss er den Besuch, die Zuwendung.


    Drei Jahre zuvor noch, zu seinem 80., entschwand er - mit letzter Kraft - wie jedes Jahr in den sonnigen Süden: Formentera. Er liebte alles andere als einen riesigen Aufstand um seinen Geburtstag, lehnte alle Geschenke und Glückwünsche immer ab. Allerdings rief er regelmäßig am 09. auch bei mir und bei meiner Mutter an, damit wir ihm gratulieren konnten. War es, weil er wusste, wie wichtig uns das war, oder war ihm letztendlich das Nicht - Vergessen - Werden selbst wichtig? Es war eine eigenartige Mischung!


    Papi war nie ein Mensch großer Worte. In Gesellschaften benötigte er immer einen geduldigen Gesprächspartner. Aber auf seinen Reisen, seinen einsamen Wanderungen entstanden Gedanken, die er später verschriftlichte und als Buch herausgab.


    Eine dieser Gedankenwanderungen soll hier veröffentlicht werden:


    G e d u l d s s p i e l


    Dem Namen nach heißen sie alle Kioske, Bar oder Restaurante. Der äußeren Art nach sind sie alle Strand - Imbissbuden. Alles äußerst primitiv: Eine Bude, ein Kleinbus, Gartenmöbel und ein paar Bambusmatten als Schattenspender. Wenige Meter entfernt rattert ein Stromaggregat.


    Aber alles relativ sauber, und was Theke und Küche zu bieten haben, ist gut. Und es befindet sich am rechten Ort. Kein Wunder, dass stets reger Besuch herrscht, zumal in der Mittagszeit. - Ich unterbreche also kurz vor 12 Uhr meinen Strandaufenthalt und lasse mich erwartungsvoll in einem grünen Plastiksessel nieder. - Wenig Betrieb heute, stelle ich befriedigt fest in der Hoffnung auf rasche Bedienung. Die wenigen Gäste schlürfen ihre Getränke. Aus der Küche dringt herrlicher Duft von Gebratenem.


    Ich warte. Der Blick schweift über den Dünensand und das offene Meer und begeistert sich an dem blau - gelben Farbenspiel, unterbrochen von den bunten Farbtupfern der entfernt vorbeigehenden Badegäste. - Doch auch an der schönsten Umgebung hat man sich irgendwann einmal sattgesehen. Der Magen wird davon nicht satt. Das Gehirn wird eingeschaltet. Irgendetwas stimmt hier nicht.


    Langsam wird mir klar, warum ich nicht bedient werde. Das Personal sitzt am gemeinsamen Mittagstisch - nun schon seit 30 Minuten. Man hat Pause. Nur einer hat offensichtlich "Notdienst" - an der Getränketheke. - Gut. Ich habe Verständnis und warte weiter. Der Ausblick auf Meer und Strand bleibt der gleiche. Mein Hunger auch. In mein anfängliches Wohlwollen mischt sich - zuerst zögernd, dann immer fordernder - die Frage: Warum können D I E das denn nicht besser organisieren? Wir in Deutschland hätten doch.....


    Erwischt! Also doch ungeduldig? Als ich anfangen will, mich auch noch zu ärgern, beginne ich ein Spiel, das ich schon öfter erfolgreich gespielt habe, am Gepäckschalter, an der Bushalte stelle, an der Landungsbrücke u.a.m. Ich suche nach Antworten auf die Frage: Was würde ich denn mit der gewonnenen Zeit anfangen, wenn ich jetzt sofort "dran" - käme? - Ja, was wohl?


    Hier, im Strandimbiss würde ich eine halbe Stunde früher wieder am Strand faulenzen können. Am Gepäckschalter würde ich meine leichte Umhängetasche schultern und mich auf irgendeine Bank setzen bis zum Aufruf. Der Bus, das Schiff - sofern sie nach meinem Eintreffen sofort abführen - würde entsprechend früher ankommen und ich würde......


    In allen Fällen war das Ergebnis dieses Gedankenspieles dasselbe: Die beim Warten irgendwo eingesparte Zeit würde ich an einer anderen Stelle irgendwie verbummeln. Vielleicht auf bequemere Art, aber nicht effektiver. Es ist doch im Grunde völlig gleichgültig, ob ich am Gartentisch sitzend auf Bedienung warte und dabei über Dünen und Meer schaue, oder ob ich dasselbe am Strand liegend tue. Oder ist es etwa ein gravierender Unterschied, ob ich auf meinem Koffer sitze und Menschen beobachte, oder ob ich dasselbe von einem Sessel im Warteraum aus tue? Oder ist es ein Gewinn für mich, wenn ich, statt auf Bus oder Schiff warten zu müssen, sofort einsteigen darf und dann innen oder später an der Hotelrezeption warten muss? Ich kann die "Spielkarten" dieses Gedankenspieles drehen und wenden wie ich will, ein nennenswerter Gewinn kommt dabei für mich nicht heraus, auch kein theoretischer.


    Ungeduld beim Warten bringt gar nichts. Höchstens Missmut und Ärger. Und die Bringen Verkrampfung, schlechte Laune, verdorbene Urlaubsfreude und - falls ich dabei in den Spiegel schauen würde - ein erschreckend miserables Gesicht. Hingegen: Geduld beim Warten, das berühmte "take it easy" bringt in jedem Fall viel. Nämlich innere Entspannung, interessante Beobachtungen, Vorfreude und eine ganze Menge positiver Gedanken. :lach:


    Übrigens: Das Heilbuttfilet in der Strandbude hat köstlich geschmeckt. Der Dicke am Nachbartisch, der wutschnaubend vorher das Lokal verlassen hat, erregte allgemeine Heiterkeit. Und das durch die Mittagspause ausgeruhte Personal hat die Gäste bis in den Abend freundlich und schnell bedient. - Siesta ist Siesta. Und Geduld zahlt sich am Ende immer aus.




    Aus: Wolfgang Roth - Bernstein: Gedankenwanderung auf Formentera, erster Teil Oktober 1990




    Nach der Schließung der Immenhofschule hatte sich mein Vater unterschiedliche Aufgaben und Ziele gesetzt. Eine dieser Aufgaben war die Recherche der Immenhof - Vergangenheit und das Herstellen der Foto Chronik. Noch vor nicht ganz 20 Jahren war dies mit einem erheblichen Arbeitsaufwand verbunden: Briefe mussten geschrieben werden, auch nach Übersee - Post ging zwischen Deutschland und der USA hin und her.... die Foto Chronik war sein Herzblut. Auf dem alten Paketpapierumschlag steht: "Foto - Sammlung Immenhof Einst und jetzt - 1914 - 1985 - ?" Die Foto - Sammlung endet ca, 1993 / 94.


    Das, was nun auf dieser Site entstanden ist, durch unser aller Zutun, ist eine Weiterführung, dessen, was Gummi begonnen hat. Würde er dies wahrnehmen, würde er sich riesig freuen. In dem Sinne, lasst uns diese Site weiterführen. Der "alte" Immenhof musste sterben, der "virtuelle" nicht unbedingt. Das hängt von uns und unserer Aktivität ab!


    Liebe Grüße, Uli :wiwi:

  • Liebe Uli
    Ich geb dir mal Recht,das wir hier weiterführen, was Gummi begann.
    Was er mit viel Herzblut gemacht hat, wird hier mit viel Herzblut weitergemacht.Auf etwas einfachere Art und Weise, aber mit genauso viel Elan.
    Morgen werde ich an Gummi denken, und an die vielen tollen Stunden,Fahradtouren, Schnitzeljagten,Schwimmabzeichen,und das Singen, Schauspielen.
    Ich profitiere noch heute davon, das Gummi uns beibrachte unsere Fahräder selbst zu reparieren,und von so vielen anderen Dingen, die ich bei ihm lernte.
    Ganz liebe Grüße Ilona

  • Tja, also ich kenne ihn als - sowohl geduldigen Zuhörer, als auch sehr guten Erzähler....wenn er denn "in Stimmung" war.
    Wenn er alljährlich zu uns kam, war er nach 7 Stunden Auto-Fahrt, inklusive "ausgiebiger" Zollabfertigung, immer recht k.o. zunächst. Seine Enkel erhielten Geschenke, und er ruhte, bzw. sammelte sich erstmal ne halbe Stunde. Und weil sein Enkelsohn sich lautstark gegen "Bedanken" aussprach (so dass es sein Opi hörte !!!) , weil das also der Zwinsch soo doof fand, schrieb er auch ein Buch übers Danken und Bedanken. Das hatte ihn schon sehr zu denken gegeben. Naja, Danken als Zeremonie....?
    Was ich aber jetzt hier mal zum Besten geben will, ist eine kurze Passage aus eben jenem Buch. Dabei geht es um die Grenz-Tortour, der er sich jedesmal in so ähnlicher Weise aussetzen musste. Weil: So war das eben. Wollte man in die DDR, dann hatte man das einzukalkulieren. (Abgesehen davon war ja auch das atmen auf DDR-Territorium teuer: 25,-DM pro Tag war zu zahlen dafür, dass man als Wessi im Osten weilen durfte!)


    "...Herleshausen, DDR-Grenze. Stau in knalliger Sonne vor der Zollabfertigung. Endlich, nach ca. 1 Stunde beginnt auch für mich das übliche Zeremoniell: Aussteigen, Motorhaube, Kofferraum, Handschuhfach auf, Zollerklärung abgeben.
    "Was heißt hier diverse Süßigkeiten? Ein Zentner - oder was?"
    Ich hatte auf dem winzigen Vordruck den vorgesehenen Platz verbraucht mit Angaben über mitgebrachte Bücher, Werkzeug, Spiele, Kleidung, Obst, Kaffee, Säfte usw. Ich entschuldigte mich: "Ich kann doch nicht jede Tafel Schokolade, jeden #Sahnebonbon oder Kaugummi aufschreiben. Da reicht doch der Platz gar nicht aus!" Ein strenger Blick in meine Papiere, dann die barsche Frage:
    "Haben Sie kein Papier zu Hause - Sie, als Lehrer? Fahren Sie mal rechts raus an den Tisch!"
    Also General-Filzung. Alles einzeln auspacken, auf den Tisch legen. Ein zweiter Grenzpolizist untersuchte mein Auto. Fußmatten raus. Tür-Verblendung ab, abtasten unter dem Armaturenbrett. Was es doch für Verstecke gibt. Darauf wäre ich nie gekommen. . . .Nach fast 7 Stunden völlig k. o. am Ziel...
    ...und dann die Sache mit dem "doofen Bedanken" seinen Enkelsohnes... Diese harte Nuß bearbeitete er auf seine Weise. . . es entstand ein Buch, wie gesagt...

  • Papis Grab leuchtet mit kleinen Nelken. Erinnern an seine am Badhang angepflanzten und von ihm so geliebten Blumen. Jedesmal. wenn ich auf dem Immenhofgrundstück bin, such ich dort nach letzten Resten von ihnen. Nun am Hang des Wetfriedhofes grüßen sie wieder, als Gruß von uns an ihn? Grüße von ihm an uns!

  • Danke, Mami für die Frühjahrsbepflanzung! In meiner Erinnerung seh ich Papi Narzissen, jeder Art und egal wo gefunden, vor der Schwimmhalle auf der Wiese pflanzen. Überall verstreut blühte es gelb und weiß / orange, kleine und große, einzelne und in Büscheln....auch das ein "Ruhestandswerk"!


    Gruß, Uli :wiwi:

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